VPB-Experteninterview
VPB kritisiert WEMoG: Dominanz des Bauträgers bei neuen Wohneigentumsanlagen wird zementiert
BERLIN. Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG), das am gestrigen 1. Dezember 2020 in Kraft getreten ist, soll den neun Millionen Wohnungseigentümern in Deutschland das Leben erleichtern. Vor allem ermöglicht die Gesetzesnovelle vielen Eigentümergemeinschaften, langjährige Sanierungsstaus zu beheben, unter anderem ändert der Gesetzgeber aber auch die Regeln für die Entstehung von Eigentümergemeinschaften in neugebauten Wohnanlagen - das allerdings nicht zum Vorteil der privaten Käufer, sondern der Bauträger. Der Verband Privater Bauherren (VPB) begrüßt deshalb die Gesetzesnovelle in Teilen, kritisiert aber den fortdauernden Einfluss der Bauträger in neuen Wohneigentumsanlagen.
Das Problem: Wohneigentumsanlagen werden in der Regel von Bauträgern projektiert und gebaut. Die Bauträger, denen das Grundstück gehört, treten dabei als Bauherren und alleinige Eigentümer auf. Die zukünftigen Eigentümer sind lediglich Käufer und in der Übergangsphase zunächst auch ohne jeglichen Einfluss. Die Kernfragen, um die sich vieles drehte und dreht lauteten: Ab wann bilden die Käufer eine Wohnungseigentümergemeinschaft - und sind damit auch in der Lage, ihre Interessen selbst zu vertreten, insbesondere gegenüber dem Bauträger als bisherigem Allein-Eigentümer?
"Nach dem alten WEG-Gesetz entstand die Wohnungseigentümergemeinschaft erst mit der Eintragung mindestens eines zweiten Erwerbers als Eigentümer in ein Wohnungseigentum im Grundbuch - neben dem Bauträger", erläutert VPB-Vertrauensanwalt Holger Freitag. "Die Rechtsprechung zog dann den Zeitpunkt aus praktischen Erwägungen allerdings vor: Sobald wenigstens ein Erwerber einen rechtsgültigen Bauträgervertrag abgeschlossen hatte, eine Auflassungsvormerkung zu seinen Gunsten im Grundbuch eingetragen worden war und er Besitz am Sondereigentum zu dessen Nutzung eingeräumt bekommen hatte, sahen die Gerichte eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft begründet, die weitgehend wie eine echte behandelt wurde."
Nutzungsfähiger Besitz am Sondereigentum, also an der Wohnung, setzt aber immer voraus, dass die Wohnung bereits an die erforderliche Infrastruktur angeschlossen ist und diese auch sofort benutzt werden kann. "Bauträger schlossen daher schon vorab und im Alleingang Gas- und Wasserbezugsverträge, Abwasser- und Müllentsorgungsverträge und vieles andere ab" erläutert Holger Freitag. "In größeren Wohnungseigentumsanlagen bestellten sie auch die Verwalter." Das brachte bei der Übergabe Probleme: Nicht immer wurden bestehende Versorgungsverträge korrekt auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übertragen. Auch der noch vom Bauträger installierte Erstverwalter zeigte nicht immer den nötigen Biss, um als Vertreter der Eigentümergemeinschaft Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum gegenüber dem Bauträger zu verfolgen. "Dieser Punkt führte 2007 zu einer Teilreform des WEG", erläutert Rechtsanwalt Freitag. "Seitdem darf ein Erstverwalter maximal für drei Jahre bestellt werden. Die Wohnungseigentümergemeinschaft soll damit die Chance bekommen, zwei Jahre vor der Verjährung der Mängelrechte am Gemeinschaftseigentum einen neuen Verwalter ihres Vertrauens zu bestellen." Daran hat sich mit der aktuellen Gesetzesnovelle nichts geändert.
"Allerdings hat der Gesetzgeber das übrige Problemfeld nun zugunsten des Bauträgers gelöst und viele Warnungen, unter anderem vom VPB, ignoriert", kritisiert Holger Freitag. "So existiert ab sofort die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bereits rechtsfähig mit Anlage der Wohnungsgrundbücher, und zwar auch dann, wenn dies durch Teilungserklärung des Eigentümers gegenüber dem Grundbuchamt geschieht. Der einzige in allen Grundbuchblättern als Eigentümer eingetragene Bauträger darf in dieser Gemeinschaft dann als einziges Mitglied entsprechend schalten und walten, wie er will." Experten sprechen von der "Ein-Personen-Gemeinschaft".
Für die zukünftigen Mitglieder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer birgt das Prozedere Gefahren. So kann der Bauträger als einziges Mitglied der Gemeinschaft weiterhin nicht nur einen Verwalter seiner Wahl einsetzen, sondern auch alleine und nach Belieben Verträge mit Versorgern und Dienstleistern abschließen, an die die zukünftigen Mitglieder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gebunden sind, auch wenn die Konditionen und Laufzeiten nicht ihren Interessen entsprechen.
Zusätzlich müssen alle Käufer von Wohneigentum, sobald sie selbst Mitglied der Gemeinschaft sind, alle Beschlüsse der Eigentümerversammlung, die der Bauträger in Alleinregie gefasst hat, durchsehen und prüfen, ob sie angefochten werden müssen, weil sie der Gemeinschaft schaden. Dafür haben die Erwerber aber nur einen Monat nach Beschlussfassung Zeit. Das ist extrem knapp, zumal viele Käufer gerade am Anfang ganz andere Sorgen haben.
"Völlig ungeklärt ist dabei aktuell auch noch, ob ein Erwerber der ersten Stunde gegenüber anderen, späteren Mitgliedern der Gemeinschaft, eine Pflicht hat, alle noch anfechtbaren Beschlüsse entsprechend zu überprüfen", erläutert Holger Freitag. "Sind Beschlüsse wegen der kurzen Frist gar nicht mehr anfechtbar, obwohl sie die Gemeinschaft benachteiligen, bleibt den neuen Eigentümern nur noch der Weg, den Bauträger um Schadensersatz anzugehen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt aber weitgehend die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer."
Die bislang größte Reform des Wohnungseigentumsgesetzes seit dessen Entstehen 1955 lässt also die privaten Käufer von Eigentumswohnungen ein Stück weit im Regen stehen. Der VPB rät deshalb allen Betroffenen: Wer eine neue Eigentumswohnung vom Bauträger erwirbt, muss umgehend prüfen, ob schon Beschlüsse vorliegen und ob diese die Gemeinschaft benachteiligen. Daneben müssen Käufer das Sonder- und Gemeinschaftseigentum bautechnisch abnehmen. Dazu sollten sie sich Unterstützung vom unabhängigen Sachverständigen holen, damit ihnen eventuelle Baumängel nicht entgehen, die ein vom Bauträger eingesetzter Verwalter vielleicht später zu rügen vergisst. Damit Baumängel noch rechtzeitig in der Gewährleistungsphase gerügt werden, ist deshalb eine weitere Begehung mit dem unabhängigen Sachverständigen wichtig, sobald der Vertrag des vom Bauträger bestellten Verwalters nach drei Jahren ausläuft.